Unsere Vorfahren waren seit undenklichen Zeiten Waldmenschen; wir sind Häuserblockmenschen. Daraus allein schon erklärt sich der unwiderstehliche Naturtrieb des Großstadtbewohners hinaus ins Freie, aus der Staubmühle des Häusermeeres ins Grüne der freien Natur. Daraus erklärt sich, daß dem naturhungernden Stadtmenschen jeder Baum, jeder kleinste Grasfleck, jeder Blumentopf heilig ist, und dieser allgemeinen Volksempfindung nach dürfte nicht ein Strauch einer sonst noch so nötigen Stadtbebauung geopfert werden, sondern müßte im Gegenteil möglichst viel Grünes zu dem alten Bestand noch dazugepflanzt werden.
Dieser Volksstimmung entspricht die Gründung zahlreicher Vereine zur Pflege der Gartenanlagen in großen Städten, von Gesellschaften zur Pflege der Blumenzucht, die allgemeine Teilnahme an Vorträgen über diesen Gegenstand und an den zahlreichen geradezu volkstümlichen Blumenausstellungen.
In Frankfurt a. M. bildete sich anfangs der Neunzigerjahre ein Verein zur Verschönerung der Stadtansichten, und dieser trat alsbald vor die Öffentlichkeit mit der Ausschreibung eines Wettbewerbes für die »Schmückung von Balkonen durch Blumen«. Dieser Wettbewerb wurde schon 1895 wiederholt und vielfach anderwärts nachgeahmt, ja sogar durch Unterteilung der Fragestellung im Wettbewerbe für Blumenkörbe für Wohnhausfenster u. dgl. m. vermannigfacht. Was
Hamburg in diesem Sinne Bedeutendes geleistet hat, ist weithin anerkannt, und diesbezüglich kann auf die lebendig anregende Schrift von Lichtwark: »Blumenkultus 1897«, verwiesen werden.
Was aber Blumenzier für das Äußere und Innere des Hauses, das sind Gärten, Baumgruppen und Strauchwerk für die Stadt, und wenn die Vorstadt St. Gilles von Brüssel einen Preis ausschrieb für die schönste Villa ihres Villenviertels, um so den Ehrgeiz der Bauherren aufzustacheln, warum soll nicht einmal auch ein Preis für den schönsten Vorgarten einer Straße oder eines Stadtteiles ausgeschrieben werden zu dem gleichen Zweck? Eine hervorragende Besonderheit sind da z. B. die herrlichen Rosenzüchtungen der Kurstadt Baden bei Wien in ihren Vorgärten. Alles das wirkt nicht nur gesundheitlich bessernd ein, sondern muß ganz besonders vom künstlerischen Standpunkte aus hochgehalten werden. Nimmt man einem Empfangssaal, einem Treppenhause seinen Blumenschmuck, so nimmt man unter einem auch der Architektur, der Wandmalerei, selbst den Teppichen und Möbeln einen guten Teil ihrer Wirkung; der Gesamteffekt wird trocken, einförmig, weil die wohltuende Wirkung des Gegensatzes von strenger Kunstform zur freien Naturform verlorengegangen ist. So auch im großen bei den Stadtbildern schöner Plätze, hervorragender Straßen. Deshalb versäumen ja auch Architekten selten auf ihren Perspektivbildern von Monumentalbauten Baum- und Strauchwerk anzubringen und bei Kunst- und Industrieausstellungen ist es bereits allgemein üblich, zur Ausschmückung der Ausstellungsräume den Ziergärtner ausgiebig in Anspruch zu nehmen.
Nur im Vorbeigehen sei noch eines anderen wichtigen Bestandteiles der natürlichen Landschaft Erwähnung getan, den der Städtebauer gleichfalls nicht entbehren kann, um seine Stadtbilder zu beleben, um die Bewohner dieser gehäuften Häusermassen über das Erdrückende dieser unnatürlichen Einförmigkeit angenehm hinwegzutäuschen: des
Wassers. Was wäre Venedig ohne Wasser? Wäre das barbarische Vorhaben, seine Kanäle zuzuschütten, zur Ausführung gekommen, so wäre die künstlerische, seelisch erhebende Herrlichkeit Venedigs dabei mitverschüttet worden. Was wäre Budapest ohne Donau, Paris ohne die Seine, Hamburg ohne die große Alster, Koblenz, Mainz, Köln etc. ohne Rhein? Selbst die kleine Pegnitz, welche herrlichen, erquickenden Stadtansichten schenkt sie im Vereine mit alten, prächtigen Baumgruppen dem ehrwürdigen Nürnberg! Die Hinzufügung von Wasser zum Grün der Großstadt hat die Anerkennung ihrer hohen Bedeutung selbst in der Einführung eines bereits allgemein üblichen Handwerksausdruckes des Städtebaues gefunden, man nennt es: »dekoratives Wasser«. Die künstlerisch
höchste Stufe erreichte bisher die Verwendung dekorativen Wassers aber schon im antiken Rom und, dieser Fährte der römischen Kaiserzeit folgend, im Rom der im größten Stile kunstliebenden Päpste der Renaissance. Wer die Fontana Trevi gesehen, vergißt diesen mächtigen Eindruck im Leben nie wieder, und das gewaltige Rauschen der Aqua Paola suggeriert förmlich erfrischende Kühle. Gewiß ist, daß im Erinnerungsbilde Roms seine Wasserleitungen und ihre monumentalen Ausflüsse einen unverwischbaren Bestandteil bilden.
Alles das ist aber nicht bloß ästhetisch wertvoll, sondern auch rein gesundheitlich, schlechtweg unentbehrlich. Die größeren unverbauten Flächen der Großstädte, besonders wenn sie zu Gartenanlagen, auch mit Wasserspiegeln und Wasserwerken ausgestattet, verwendet erscheinen, sind die zum Aufatmen förmlich unerläßlichen Luftbecken der Großstadt und daher auch ganz entsprechend ihre Lungen genannt worden.
Sicherlich braucht eine große Zinshausmasse solche Unterbrechungen durch Anordnung weitläufiger freier Lufträume zunächst aus Gesundheitsrücksichten, aber auch nicht minder zur phantastischen Erhebung des Gemütes durch die
Erquickung an eingestreuten Naturbildern. Ohne diese Anlehnung an die freie Natur wäre die Stadt ein unerträglicher Kerker, und von diesem Standpunkte hat die allgemeine Volksstimmung recht mit ihrem Urteile: »Je mehr, desto besser.«
Leider hat die Verwirklichung dieses Grundsatzes ihre Grenzen nicht nur an den unerschwinglich steigenden Kosten und dem Werte des Baugrundes, besonders im Mittelpunkte großer Städte, sondern vor allem an der dadurch bedingten räumlichen Ausdehnung, welche schließlich selbst durch die fortgeschrittensten Verkehrsmittel nicht mehr bewältigt werden könnte. Buenos Aires z. B. hatte vor einigen Jahren bei rund 600.000 Einwohnern den Flächenraum von Berlin, weil etwa 95% seiner Häuser keine Obergeschosse, dagegen einen wenn auch nur kleinen Garten besitzen. Das ist sehr idyllisch, ja sozusagen pompejanisch, für eine europäische Stadt aber unverwendbar.
Die Aufgabe des Städtebauers dieser Sonderfrage gegenüber ist es daher, seine Einrichtungen derart zu treffen, daß er dabei einen größtmöglichen sanitären und ästhetischen Erfolg erzielt bei gleichzeitig geringstem Aufwand an Geld und Raum. Diese Stellung der Frage bedingt eine genaue Abwägung jeder Einzelform der Verwendung des Landschaftlichen, des Grünen in der Großstadt nach Vorteilen und Nachteilen, und zwar unter sorgsamer Vermeidung von vielleicht nur dem Herkommen angehörenden Vorurteilen. Diese Abwägung zu versuchen, ihre Besprechung einmal in Fluß zu bringen, ist der Zweck dieser Zeilen.
Es sei gleich der Anfang gemacht mit der Feststellung eines noch immer ziemlich allgemein geltenden Vorurteiles.
Vor etwa vierzig Jahren brach sich die schon ältere Entdeckung die Bahn zur allgemeinen Kenntnisnahme, daß nämlich Menschen und Tiere Sauerstoff einatmen, Kohlensäure ausatmen, während umgekehrt Pflanzen Sauerstoff abgeben und Kohlensäure in sich aufnehmen. Daraus
schien unwiderleglich zu folgen, daß durch das Ausatmen der Kohlensäure von vielen Menschen, die eng beieinander leben, besonders in Versammlungssälen, Schulzimmern u. dgl., die Kohlensäure sich derart um sie herum anhäufe, daß förmliche Erstickungsgefahr eintreten müsse, besonders wenn nicht Blattpflanzen in genügender Menge vorhanden sind, welche diese Kohlensäure wieder wohlgefällig aufsaugen und dafür Sauerstoff abgeben. Es entstand eine förmliche Kohlensäurepanik. Man denke aber auch: ein einzelner Mensch erzeugt in der Stunde 35 m3 Kohlensäure. Entsetzlich!
Von Schulbehörden wurden Erlässe hinausgegeben an alle Volksschulen, welche die Anbringung möglichst vieler Blattpflanzen in den Schulzimmern anordneten zur Erzeugung des für die armen Kinder nötigen Sauerstoffes und zur Vertilgung der überschüssigen Kohlensäure.
Ein Sauerstoffgourmand, wie Puchner berichtet, atmete täglich mehrere Stunden zwischen seinen Blumentöpfen; aber auf die Höhe des Sauerstoffkultus gelangte die ganze Bewegung erst recht durch die Entdeckung des Ozons und seiner Wirkungen auf den tierischen Organismus. Hauptsächlich in angeblich reichlich ozonhaltigen Waldesgründen wurden Heilanstalten errichtet, Lufthäuser gebaut und selbstverständlich trat der Vertreter des Wollregimes gleichfalls dieser Richtung bei; es wurde die Ozonlampe erfunden. Die Gemeinde der sogenannten Ozonschlürfer wuchs täglich.
Daneben ging still und unbemerkt die strenge wissenschaftliche Forschung ihren Weg. Zuerst ermittelte Professor Ebermayer (Mitteilungen über den Kohlensäuregehalt der Waldluft, 1878), daß die Luft in einem gut geschlossenen, großen Waldkomplex im Sommer fast doppelt so reich an Kohlensäure ist als die freie atmosphärische Luft, und zwar wegen geringerer Durchlüftung und fortwährender Neuerzeugung der Kohlensäure in der faulenden Streudecke. In seinem 1885 erschienenen Werke über die Beschaffenheit der Waldluft teilt Ebermayer ferner mit, daß die Schwankungen des Kohlensäuregehaltes der Luft viel geringer sind, als man früher glaubte, nämlich sich nur zwischen 0025 bis 0 036% bewegen. Mit je empfindlicheren Instrumenten und je größeren Luftmengen man die Untersuchungen anstellte, desto geringer zeigten sich die Unterschiede. Die Untersuchungen in Paris, London, Genf, Palermo, Manchester etc. führten in überraschender Weise zu demselben Ergebnis. Auch in den Großstädten erreicht der Kohlensäuregehalt nur ausnahmsweise 0035%. Der Kohlensäuregehalt in der Waldluft schwankt zwischen 0026 und 0036%. Ganz dieselben Ziffern ergaben Messungen im Hochgebirge und auf offenem Meere; in reinster Landluft 0*033%. Der mittlere Kohlensäuregehalt ergab nach den Messungen verschiedener dortiger Beobachter für Rostock
0*029%, für Dieppe 0*0296%, für Aubin 0*0293% für Gem-bloux 0*0294%.
Ebenso verhält es sich mit dem Sauerstoff. Die Schwankungen des Sauerstoffgehaltes der Luft bewegen sich nach den Messungen von U. Kreusler (Über den Sauerstoffgehalt der Luft, 1885) nur zwischen 22*88 und 20*94% und nach Prof. W. Hempel zwischen 20*877 und 20*971%
Die Zusammensetzung der Luft muß also innerhalb enger Grenzen als beständig angesehen werden und der hiezu nötige ungemein rasche Ausgleich im Luftmeer beruht auf der starken Expansion der Gase. Dies das Ergebnis der strengen wissenschaftlichen Untersuchung, gegen welche alle voreiligen und, wie sich zeigt, auch unbegründeten Hypothesen in nichts zerfallen.
Auch was die sonstige Reinheit der Waldluft anbelangt, haben die Untersuchungen von A. Serafini und J. Arata (Forschungen auf dem Gebiete der Agrikulturphysik XIV, München) ergeben, daß im Innern der Wälder zuweilen mehr Spaltpilze und Mikroben angetroffen werden als außerhalb, weil sie unter Umständen der Wald selbst züchtet.
GROSSTADT GRÜN
Diese ganze Gruppe angeblich die Gesundheit fördernder Wirkungen des Pflanzenwuchses entfällt also. Es bleibt nur die Wirkung eines Sympathiemittels, eine auf der Einbildung beruhende Wirkung übrig, und diese ist allerdings auch nicht zu verachten, denn es ist ja eine bekannte Tatsache, daß durch bloße Einbildung nicht nur sogenannte eingebildete Kranke geheilt werden können, sondern auch wirkliche Kranke.
Der Großstadtmelancholiker ist ein solcher teils eingebildeter, teils wirklicher Kranker; er leidet an der Sehnsucht, am Heimweh nach der freien Natur. Diese Krankheit, die sich bis zur Erschlaffung aller Arbeitslust steigern kann, wird nicht durch unbewußtes Einatmen von so und so viel Kubikmeter Sauerstoff oder Ozon geheilt, sondern durch den Anblick des Grünen, durch die Vorstellung der lieben, teuren Mutter Natur. Damit kann und muß der Stadtbaumeister rechnen und nun wird seine Aufgabe auch lösbar; denn während die Forderung, für jede atmende Lunge etliche Quadratmeter Pflanzenblattfläche herzustellen, jede Stadt in ein endloses Villenviertel auflösen würde, genügt jetzt die bloße Vorstellung, der bloße Anblick von grünem Laubwerk, wenn auch nur des einzelnen Baumes, der über eine Gartenmauer mit mächtigem Astwerk überhängt und eine ganze Gasse belebt, oder der mächtigen Linde in einer abgeschiedenen lauschigen Platzecke, etwa bei einem plätschernden Brunnen, oder eines vertieften Rasen- und Blumenfeldes vor den verkehrslosen Seitenflügeln eines hochragenden Monumentalbaues. Es ist ja eine bekannte Tatsache, daß die Phantasie keine plumpen Massenwirkungen braucht, sondern nur Anregungen, nur Anknüpfungspunkte.
Das mit geringsten Kosten sehr fruchtbare Motiv des Einzelbaum es, das im modernen Städtebau so gut wie verschwunden ist, erscheint so wieder der Beachtung wert.
Wer von allen, die Rom gesehen haben, erinnert sich nicht der mächtigen Palme am Lateran: ein einsamer Baum,
aber weithin sichtbar durch eine Menge von Straßen, erhebt sie den Anblick, stempelt diese einzige Palme Rom zu einer südlichen Stadt, denn für die Phantasie leistet dieser einzige Stamm dasselbe wie ein ganzer Palmenhain. Denkt man sich diese einzige Palme aus allen den zahlreichen Straßenbildern, in denen sie sichtbar ist, weg, so erleidet mit einem Schlage die Wirkung dieser Stadtansichten eine erhebliche Einbuße, ähnlich der Verschiedenartigkeit, als ob man einmal einen Stadtplatz bei heiterem Sonnenschein, ein andermal bei trübem Wetter in schlechter Beleuchtung sehen würde. Dasselbe leistet auf ihrem Platze in Konstantinopel die berühmte Janitscharenplantane, und überall, wo die Erbstücke alter Stadtpoesie noch nicht ganz dem Schermesser des modernen Geometers zum Opfer gefallen sind, lassen sich ähnliche Beispiele in Menge finden. Hier hat sich noch ein alter Kastanienbaum in einer stillen Ecke neben einer alten Kirche erhalten; dort ist noch aus alter Zeit eine mächtige Esche stehengeblieben, welche einst ihr Laubdach über einer kleinen Dorfkapelle oder bloß einem Marterl der Landstraße rauschen ließ, als das endlos wachsende und landverzehrende Stadtungeheuer seine Häusermassen bis hieher noch nicht vorgeschoben hatte. Sogar die große Linde des Dorfes oder neben dem Ziehbrunnen des Burghofes ist in großen Städten zufällig noch hie und da erhalten, ja sogar ganze Jagdgehöfte, Meierhöfe, kleine Herrensitze aus längst verschollenen Zeiten, da die jetzige Millionenstadt noch ein kleines Nest war, das kaum den Umfang der heutigen inneren Stadt umfaßte. Solche Baumreste sind auch Reste der Volksgeschichte, Reste der Volkspoesie, die in Wahrheit ja auch in ihren Ästen reichlich nistete von der höfischen Dichtung an bis auf unsere Zeit, und auch im Bilde sehen wir diesen bedeutsamen Baum zu allen Zeiten, von der Weltesche der Edda angefangen bis zu ihrem Bühnenbild in Richard Wagners »Feuerzauber«.
Es ist schwer, aus so hochpoetischem Zusammenhange sich in die armselige Nüchternheit einer Lageplanfrage zurück
zu versetzen. Warum geht aber dieser Kontrast bis an die Grenze des Zerrbildes, des Lächerlichen? Offenbar bloß deshalb, weil wir eine Zeitströmung unmittelbar hinter uns haben, und sie ist noch nicht gänzlich überwunden, in der förmlich absichtlich gewaltsam jeder letzte Funke von Poesie im Städtebau ausgelöscht wurde. Nur die Phantasie ist es, welche die alltäglichsten Dinge bis ins Überirdische zu erheben vermag. Der Ölbaum der Athene auf der Akropolis war ein ganz gewöhnlicher Ölbaum, wie alle andern auch, aber die dichterische Phantasie hat ihn geheiligt und das ganze Volk ließ sich dieses Gaukelspiel der Phantasie gerne gefallen, weil das Volk Poesie und Kunst als notwendige seelische Nahrung ebensowenig entbehren kann wie das tägliche Brot. Darin liegt eben die hohe Bedeutung des Poetischen, des Phantastischen oder, wie man heute sagt, des Malerischen im Städtebau — ein stillschweigendes Eingeständnis zugleich, daß die moderne Welt es höchstens bis zu der niedereren Stufe des Malerischen im Städtebau zu bringen wagt, aber die höhere Stufe der Poesie des Städtebaues für unerreichbar hält.
Aber selbst das bloß Malerische im Städtebau, selbst die bloß malerische Auffassung eines Baumes, als des erquickenden Grünen im Grau der endlosen Stein- und Mörtelmassen, wurde von den Reißbrettmenschen der alten geometrischen Schule des Städtebaues nicht anerkannt. Statt bei Lageplanverfassungen grundsätzlich jeden schönen, noch lebensfähigen alten Baum zu schonen, geradeso wie ein altes ehrwürdiges Denkmal der Geschichte oder Kunst, und daher ihm ein eigenes Plätzchen herauszuschälen mit passender Umgebung, sei es auch durch Krummziehung oder Seitwärtsschiebung einer Straßenmündung oder durch Anordnung einer lauschig*en Platzecke, nur diesem mächtigen Baum zuliebe, wurde all das schonungslos und massenhaft ausgerottet. Es könnten aus modernen Stadtregulierungen Beispiele in Menge beigebracht werden, wo alte Brunnen mit herrlichen Baumgruppen, ebenso unschätzbare Reste
alter Privatgärten, alte Festungswerke mit grünem Geranke, alte Stadttore oder Kapellen mit malerischer Umgebung von Baum- und Strauchwerk samt trefflich angebrachten Ruheplätzen in ihren Schatten in allererster Linie der Reißschiene des Stadtgeometers mit seinen langweiligen geraden, gleichbreiten Straßenzügen zum Opfer fielen. Gerade solche Einzelheiten sind aber ein unersetzlicher Verlust, denn man kann künstlich diese frische Naturwüchsigkeit des allmählich von selbst Gewordenen nicht ersetzen. Demgegenüber gibt es nur eine einzige Regel, nämlich: solche alte unersetzliche Erbstücke um jeden Preis zu erhalten und in das neue Stadtbild harmonisch einzufügen, und diese Regel steckt auch tief im Volksbewußtsein, so daß jeder Städtebauer, der sie befolgt, sicher auf den Beifall seiner Mitbürger rechnen kann. Für dieses Volksurteil nur ein Beispiel aus vielen: Am Residenzplatz zu Salzburg (Abb. 114) steht vor dem Regierungsgebäude und neben dem Dom eine Reihe stattlicher alter Bäume. Als Ende der Sechzigerjahre ein Stadterweiterungsplan nach dem bekannten Schachbrettmuster genehmigt wurde, war das erste, daß eine Reihe hundertjähriger Bäume gefällt wurden zur Freilegung der projektierten Baublöcke. Die Wurzelstrünke der noch immer unverbauten Gelände sind heute noch zu sehen. Der Volksunwille darüber ließ nun die dem Staate gehörenden Bäume vor dem Regierungsgebäude folgendes Selbstgespräch halten:
»Die schönsten Bäume schlägt man nieder,
Sie gehören der Stadt, die kriegt’s nie wieder.
Wir bleiben stehn, das freut uns narrisch,
Denn, Gott sei Dank, wir sind ärarisch!«
Neben dem Erhalten solcher alten Bestände gehört die Neupflanzung von Einzelgruppen doch offenbar zu den Pflichten des Städtebauers, denn gerade damit wird, wie gezeigt, eine größtmögliche Wirkung bei geringstem Kostenaufwande erzielt; nur muß die Sache mit Geschick angefaßt werden. Wenn der geometrische Stadtregulierer
Abb. 114. Residenzplatz in Salzburg.
alter Schule für einen solchen Baum gerade wie für einen Brunnen oder ein Denkmal keinen anderen Platz wüßte, als im geometrischen Mittelpunkte seiner regelrecht quadratischen Plätze, dann wäre die Sache allerdings verfehlt; ein derart aufgestellter Baum, natürlich auch streng symmetrisch gewachsen und gestutzt, müßte sich das Gespötte aller Straßenjungen gefallen lassen. Wer sollte aber, etwa auf einer einsam dort stehenden Sitzbank, da Erholung suchen? — mitten auf einem verkehrsreichen Platz, allein dasitzend wie zum Photographiertwerden, wie ein Ausstellungsgegenstand !
Obwohl die Unschönheit, ja das geradezu Unpassende der Anordnung von Baum- und Strauchgruppen gerade in der Mitte von Plätzen förmlich handgreiflich zutage liegt, ist es nichtsdestoweniger ein beliebtes Motiv des modernen geometrischen Städtebaues. Auf den sogenannten Rettungsinseln, besonders der Sternplätze, kann man nicht nur den obligaten Gaskandelaber sehen, sondern häufig genug einen einsamen Baum oder eine schön zugestutzte Strauchpyramide, ja sogar den Gaskandelaber aus der Mitte des Strauchwerkes hervorragend. Es ist himmelschreiend!
Man sieht, die Sache ist eigentlich höchst einfach. Ein solcher Baum oder Einzelgruppe von Strauchwerk gehört ebenso wie Brunnen und Denkmäler an die Platzwand, an die toten Punkte des Verkehres, in lauschige Ecken und nur insofern ist auch da die Eingliederung des Grünen schwieriger wie bei Brunnen und Denkmälern, als diese vermöge ihres Materials und ihrer architektonischen Form leichter mit der ebenfalls architektonischen Umgebung einheitlich verwachsen. Für Baumpflanzungen dieser Art wird also das Zusammenkomponieren mit der architektonischen Nachbarschaft zu einer wichtigen Forderung, und diese verlangt vor allem, daß durch die Baumpflanzung nicht künstlerisch wertvolle Architektur oder Plastik, Portale, Erker, Nischenfiguren, Fassadenmosaiken etc. dem Anblick entzogen werden, und dazu verlangt sie noch einen allmäh-lichen Übergang von der Pflanzenform zur Architektur, wie in der Musik ihrem Charakter nach weit auseinanderliegende Akkorde durch harmonische Übergänge miteinander verbunden werden. Die Mittel hiezu sind: eine gute Zusammenstimmung der Silhouetten, sowohl der Gebäude als auch des Baum- und Strauchwerks und dazu die Anbringung von solchen architektonischen Kleinformen, wie wir gewohnt sind, sie in Gartenanlagen oder auf dem Lande in Verbindung mit den Naturformen zu sehen und wie sie zum Pflanzenwuchs in der Tat passen. Hieher gehören: Gitter auf Steinsockeln und mit Eckpfeilern, Steinvasen auf Postamenten, kleine Brunnenanlagen, etwa mit der Naturform künstlicher Felsen, figurale Plastik, kurz, die gesamte dekorative Gartenarchitektur und dazu noch manches großstädtische Motiv, wie Kaffeepavillons, Sodawasserhütten, Plakatsäulen u. dgl. m. bis zu Wagenstandplätzen und noch vielem anderen. Motive genug, welche, in allen möglichen Varianten verbunden, es dem Städtebauer ermöglichen, in größter Abwechslung immer wieder Neues zu bieten von malerischer Wirkung und auch für das öffentliche Leben von wirklichem Wert.
Anregungen zu solchen Stadtplandetails liegen schon vielfach vor meist in neueren eingehend durchkomponierten Lageplänen; aber auch literarisch wurden schon Vorschläge in dieser Richtung gemacht, so von L. Herscher (Deutsche Bauzeitung vom 8. März 1899), welcher eigene Bürgersteigverbreiterungen und Ausgestaltungen an Straßenecken empfiehlt zum Zwecke der günstigsten Aufstellung von Wartehallen für Straßenbahnen, und zwar in Verbindung mit Bäumen, Brunnen, Erfrischungshallen, Plakatsäulen etc.
Hiemit dürfte das Wichtigste über das Motiv des Einzelbaumes oder der kleinen Gruppe von Baum- und Strauchwerk vorgeführt sein.
Eine dem Motiv des Einzelbaumes gerade entgegengesetzte Idee ist in dem Motive der Allee verkörpert.
Eine echte Barockidee zum Zwecke der perspektivisch großartigen Auffahrt zum Hauptportale barocker Schloßbauten.
Eine echte Handwerksburschenidee von der Landstraße her.
In beiden Fällen wurde fast durchgängig die Pappel zur Bepflanzung gewählt; in unseren Großstadtalleen niemals.
Jede Allee ist langweilig; aber keine Großstadt kann sie gänzlich entbehren, denn ihr endloses Häusermeer braucht alle nur denkbaren Formen zur Unterbrechung des ewigen Einerleis, zur Gliederung des großen Ganzen, zur Orientierung.
Die moderne geometrische Stadtbaurichtung hat nicht einmal Geschick genug bewiesen, um dieses ihr doch sinnesverwandte Motiv auch nur halbwegs richtig zu verwenden. Man nahm einfach unverhältnismäßig breite Ringstraßen und Avenuen an und pflanzte beiderseits eine ununterbrochen fortlaufende Allee. Das war die ganze Weisheit. Damit ist aber das gerade Gegenteil von dem getan, was das Streben des Stadtbaukünstlers sein muß, denn es läßt sich leicht nachweisen, daß hiedurch bei einem Maximum von Kosten ein Minimum von Erfolg erzielt wird, statt wie es sein sollte das Umgekehrte. Nimmt man als mittlere Baumentfernung 7 m an und als mittlere Länge einer Großstadtringstraße oder Avenue 4200 m (der Wiener Ring hat rund 3000 m, der von Köln rund 4000, die Pariser Boulevards zwischen 3000 und 7000), so gibt dies bei rechts- und linksseitiger Allee 2400 Bäume, also wenn man das nicht der Länge nach verzetteln würde, einen ganzen Wald von Bäumen. Sicher könnte man zwei bis drei Stadtparkanlagen vollauf damit versorgen und das gäbe für die Gesundheitspflege, für die Erholung und Ruhe Luft und Schatten suchender Stadtbewohner, für Kinderspielplätze und sogar für Spaziergänge doch einen ganz anderen Erfolg als die mit dem üppigsten Wagengerassel, Verkehrskreuzungen, Wind- und Staubwolken überreichlich bedachte Allee mitten auf der Hauptverkehrsstraße. Der Spaziergänger sucht zu seiner Erholung lärmfreie, staubfreie Orte, wie kann man ihm dazu eine Allee anbieten, mitten in der größten Verkehrsstraße, also gerade mitten im größten Lärm und Staub! Tatsächlich bewegt sich z. B. in Wien der Abendkorso nicht in der Ringstraßenallee, sondern neben den Häusern am gepflasterten baumlosen Bürgersteig.
Nun aber erst die Erstehungs- und Erhaltungskosten solcher Alleen! Die armen Bäume solcher Straßenalleen sind ja selbst immer krank, krank an Wurzelfaule wegen des in den Setzgruben stagnierenden Wassers, kränk, weil ihre Blätter stets mit Straßenstaub bedeckt sind, krank, weil sie auf der einen Seite der Straße stets im Schatten der hohen Stadthäuser stehen und somit den ganzen Tag von keinem Sonnenstrahl unmittelbar beschienen werden. Man kann die Wirkung des Mangels oder des Zuflusses vom Sonnenlicht ganz auffallend an den Alleen aller von West nach Ost streichenden Straßen sehen; die nördliche Baumreihe, wenn sie wirklich dem Sonnenlichte zugänglich ist, zeigt höhere Wipfel, buschigere Laubkronen und dickere Stämme als die südliche im Schlagschatten der Häuserreihe stehende. Die Auswechslung gänzlich absterbender Bäume wird auch auf der lichtlosen Seite in weit größerem Maße nötig als auf der Sonnenseite. Die stetige Neubepflanzung gehört zu den immerwährenden Budgetkosten des Stadtgärtners, und doch wie jammervoll sieht dieses Baumlazarett aus: im Herbst sind die Bäume der Stadtalleen die ersten, welche ihr dürres Laub frühzeitig herabschütteln; ein frisches, gesundes Grün ist niemals ihr eigen. Zu den Zerstörern der Straßenalleen gehört noch der Winterfrost, weil der Boden wegen der mangelnden Schneedecke friert; ferner die Leuchtgasausströmungen, welche den Boden verseuchen. Gegen diese letztere Einwirkung werden in Berlin Faschinen mit Lehmlagen und Kübel in den Setzgruben in Anwendung gebracht, was für jede Grube 40 Mark Kosten verursacht. Bei den Wiener Ringstraßenalleen forderte anfangs
die Wurzelfäule derart viele Opfer, daß nachträglich je zwei oder mehrere Einzelgruben miteinander verbunden wurden, um den Wurzeln eine naturgemäßere Verbreitung zu ermöglichen. Um wieviel besser wäre schon, nach diesem deutlichen Fingerzeig allein, wenn man alle Bäume wenigstens nur auf einer Seite der Straße vereinigte, und zwar auf der Sonnenseite, und immer eine Gruppe von Alleebäumen durch Strauchwerk auf größerer, geschlossener und ventilierter Humusdecke vereinigte. Gerade auf dieser Seite könnten dann auch Vorgärten angeordnet werden, wenn überhaupt in diesem Stadtteile zulässig, während auf der anderen Seite der Straße, auf der Schattenseite, keinerlei Baumpflanzung anzuordnen wäre, dafür aber wären dorthin beide Geleise der elektrischen oder der Pferdebahn zu verlegen. Durch diese Sonderung von Verkehr und Baumpflanzung würden beide Teile gewinnen und obendrein die Mannigfaltigkeit des Straßenbildes, das nun auf der einen Seite eine geschlossene und auch unverdeckt sichtbare architektonische Ausgestaltung zeigen, auf der anderen Seite jedoch alles verfügbare Grün zu einem um so mächtigeren Gesamteffekt vereinigen würde. Man sieht deutlich, daß alle die fehlerhaften Anordnungen neuerer Zeit nur daher stammen, daß sämtliche Alleen auf dem Reißbrett nach dem Grundsatz der Symmetrie angeordnet wurden, ohne dabei auch über das Gedeihen der Pflanzung, über Licht und Sonne, über ihre Wirkung im Stadtbild und auf den Verkehr im einzelnen nachzudenken. Glücklicherweise ist auch hierin in jüngster Zeit eine Verwertung der gemachten Erfahrungen und daher eine naturgemäßere Anordnung* der Alleen zu bemerken. Während in dem Handbuch des Städtebaues von 1890 (Durm, IV, 9) in den Straßenprofilen von Abb. 107 bis 216 nur die üblichen mehr oder weniger symmetrischen Baumreihen vorgeführt erscheinen, enthält das Werk des Stadtbaurates E. Genzmer »Über Anpflanzungen auf städtischen Straßen und Plätzen« von 1894 schon folgende beachtenswerte Sätze: »Straßen sind zu bepflanzen, aber schon wegen der Kosten nicht alle,
nicht zu viele«; ferner: »Wegen der Abwechslung müssen Fahrbahn, Fußsteig und Straßenallee nicht immer nach demselben Schema nebeneinanderliegen, sondern nach abwechselnder Anordnung.« Damit ist ein wesentlicher Schritt vorwärts bereits getan; die endgültige Entscheidung liegt aber nicht auf dem Gebiete literarischer Erörterung, sondern auf dem der praktischen Ausführung, wo erfahrungsgemäß doch jeder Einzelfall seine Besonderheiten hat und nicht nach irgendwie vorrätigen Schablonen gelöst werden soll. Gerade das, den Stadtbaukünstler von alten Schablonen zu befreien, ihn ungehindert von Vorurteilen denken und entwerfen zu lassen, kann nur der Zweck gesunder kritischer Untersuchungen sein, die nur. durch diese Befreiung sowohl des Künstlers als auch seines Auftraggebers Nutzen stiften können.
Ganz ähnlich wie mit den großstädtischen Alleen verhält es sich mit den sogenannten Squares. Eine in Grund und Boden verfehlte Anlage. Sie verschlingen in noch höherem Maße als die Alleen große Anlagesummen, ohne den gewünschten Erfolg zu erreichen. Der Fehler liegt wieder in dem hergebrachten Blockrastrum der modern geometrischen Lagepläne. Ist danach nur erst ein Bebauungsbezirk schön säuberlich durch geradlinige parallele Straßen schachbrettartig in Baublöcke zerlegt und wünscht man irgendwo einen öffentlichen Garten oder Kinderspielplatz, so läßt man einen oder mehrere Blöcke unbebaut, übergibt sie zu mehr oder weniger anspruchsvoller Ausgestaltung dem Stadtgärtner und der Square ist fertig. Der Umstand, daß dieser Garten dann ringsherum frei an den Straßen liegt, wird bei dieser einfachen Methode nicht beachtet; gerade darin liegen aber die groben Fehler dieser Anordnung, denn von der Straße wirbelt der Wind allen Staub, diese furchtbarste Plage des Großstadtlebens, über die Gartenanlage weg, die noch obendrein von dem ganzen Wagengerassel und sonstigem Lärm der Straße erfüllt ist, besonders wenn, wie in den weitaus meisten Fällen, diese
Squares nur in kleinerem Flächenmaß angelegt sind. Ein solcher Stadtgarten ist zur Erholung für alt und jung gänzlich ungeeignet und wird wegen der schneidenden Schneewehen im Winter und der sengenden Sonne im Sommer und den darüber hinfegenden Staubwolken auch tatsächlich vom Volke nicht besucht, während alte ehemalig herrschaftliche Privatgärten, wenn sie, wie es überall häufig vorkommt, dem Besuche des Publikums freigegeben sind, geradezu mit Erholungsbedürftigen überfüllt sind, denn diese alten Gärten sind ringsherum verbaut, liegen nirgends an der offenen Straße und sind eben deshalb wind- und staubfrei und von nervenberuhigender idyllischer Ruhe. So und nur so ist es recht und die daraus abzuleitende Regel lautet: kein Kinderspielplatz, kein öffentlicher Garten darf an der offenen Straße liegen.
Dieselbe Regel ergibt sich auch durch Erwägung der finanziellen Seite. In unseren Großstädten steigen bekanntlich die Bauplatzwerte bis zu ungeheuren Summen, und zwar um so mehr, je günstiger die Lage und das Format des Bauplatzes ist. Dabei erzielt derjenige Bauplatz einen höheren Preis, der bei gleichem Flächeninhalt eine größere Straßenflucht aufweist, indem sich dann bei der Verbauung wegen der größeren Zahl von Gassenfenstern und der geringeren Zahl von Hoffenstern Wohnungen von höherem Zinserträgnis bei sonst gleichen Baukosten ergeben. Eine bis ins einzelne gehende Berechnung von Baukosten und Zinserträgnis nach Wiener Verhältnissen im Innern der Stadt ergab, daß sich der Wert eines und desselben Bauplatzes in der Form von zwei aneinanderstoßenden Quadraten das eine Mal auf rund 100.000 K stellte, das andere Mal auf rund 140.000 K, je nachdem die kürzere oder die doppelt so lange Bauplatzseite als Straßenflucht angenommen wurde. Es zeigt sich da, welcher bedeutende Wert dem Ausmessen von Straßenfluchten im Verhältnis zu den Flächenmaßen von Bauplätzen zukommt und daß derjenige Städtebauer, der ein Maximum von Straßenfluchten bei einem noch gut verbaubaren Minimum von Bauflächen bei der Baublockteilung herausbringt, die finanziell beste Aufteilung des Baugrundes erzielt, besonders wenn noch ein Minimum von unverwertbarem, ja Erhaltungskosten forderndem Straßengrunde dazukommt. Derjenige wird aber Hunderttausende, ja bei größeren Parzellierungen Millionen von Bauwerten ungenützt vergeuden, der mit den Straßenfluchten schonungslos umgeht. Was soll man von diesem Standpunkte aus zu Projekten sagen, welche die so kostbaren Straßenfluchten gleich kilometerweise nutzlos an Squares und Stadtparke vergeuden, wozu noch obendrein die Kosten des nötigen Parkgitters kommen.
Es ist merkwürdig, wie unwiderstehlich dasjenige wirkt, was in einer bestimmten Zeit gerade landesüblich ist. Der Begriff, daß Gärten offen an der Straße liegen müßten, ist heute so allgemein verbreitet, daß man allenthalben mit einem wahren Feuereifer, der einer besseren Sache würdig wäre, darangeht, überall dort, wo alte Gärten an einer Seite oder auch nur ein kurzes Stück unmittelbar an der Straße liegen, aber wohlweislich durch eine möglichst hohe (gemeiniglich 4 bis 5 m hohe) alte Mauer nebst im Innern darangepflanzten Baumreihen und dichtem Strauchwerk von der Straße möglichst lärm- und staubdicht abgesondert sind, diese schützenden Mauern um jeden Preis niederzureißen und durch luftige Gitter zu ersetzen. In Wien wurde dies bei dem erst vor einigen Jahren dem öffentlichen Gebrauch übergebenen Esterhazy-Garten durchgeführt. Er hat dadurch ungemein gelitten, seine frühere Ruhe und Windstille hat er eingebüßt. Trotz dieser ungünstigen Erfahrung konnte man bald darauf in den Zeitungen lesen unter dem Schlagworte: »Verschönerung der Heugasse«: »Die alte Mauer längs des Schwarzenberg Gartens in der Heugasse soll durch ein elegantes Gitter ersetzt werden. Der Magistrat wird mit den Besitzern der dem Garten gegenüberliegenden Häuser wegen Beitragsleistungen zu den Kosten für das neue Gitter in Verhandlung treten.« Glücklicherweise kam die Sache nicht zustande und die Ruhe des Gartens, in dem man kaum etwas merkt
von dem starken Wagenverkehr in der Heugasse, ist bis auf weiteres gerettet. So viel Zeit, Mühe und Geld wird aber daran gesetzt, um eine gute alte Einrichtung in eine moderne, schlechte zu verwandeln! Die alte Mauer wirkt zudem förmlich altitalienisch monumental und die mächtigen Baumkronen ragen weit über den Bürgersteig neben ihr in die Straße herein, so daß es auch am Anblick des Grünen durchaus nicht fehlt; aber was nützt das alles, das gute, alte Motiv wird heute nicht mehr verstanden, es soll den Modeformen um jeden Preis zum Opfer fallen.
Wer aber hat ein höheres Anrecht an einen solchen Garten, der eilends die Straße Vorbeigehende, der kaum einen flüchtigen Blick durch das moderne »elegante Gitter« hineinwirft, oder die Menge seiner ständigen Besucher, welche stundenlang darin Ruhe und Erholung suchen und nur in seiner geschützten Abgeschlossenheit auch finden?
Es ist kein Zweifel: nicht nur Stadtplätze fordern zu ihrer eigenartigen Wirkung die Geschlossenheit der Platzwand ringsherum, sondern auch, und vielleicht in noch höherem Maße, die Gärten der Stadt. Daß der moderne Freilegungswahn sich auch der Gärten bemeistern will, ist sicherlich ein ebenso grober Fehlgriff, wie die Freilegung der alten Dome und Stadttore, wie die Aufreißung der alten geschlossenen Platzwände.
Betrachtet man in was immer für einem Stadtplane den Bestand aller Vororte, so findet man überall verhältnismäßig große Baublöcke, die alle nur an den wenigen schmalen und langen Zwischengassen in geschlossener Weise verbaut sind, während in dem weitläufigen inneren Kerne die alten Hausgärten zu beträchtlicher Gesamtmasse aneinanderschließen. Da hört man nichts von Straßenlärm, da ist ruhige, staubfreie Luft, und hier haben nicht nur die Hausbesitzer, sondern auch die Wohnungsmieter gegen geringe Zinserhöhung ihre Frühstücks- und Abendmahlzeitplätze, hier ist man der Großstadt und ihrem Getöse entrückt, man lebt wie auf dem Lande und ringsherum in den Hoftrakten und Hofzimmern
Werkstätten geistiger und handwerklicher Arbeit bei frischer Luft, gutem Licht, Sonnenschein und dem Ausblick ins Grüne. Das ist auch Großstadtgrün, wenn man davon auf der Verkehrsstraße draußen auch nichts merkt.
Gerade diese für die Gesundheit der Arbeitskraft der Bevölkerung hochwichtigen aneinandergrenzenden Hausgärten sind aber gegenwärtig überall im Verschwinden begriffen. Überall bemächtigt sich ihrer die Bauspekulation, der Bauplatzwucher; es werden Straßendurchbrüche ausgeführt und hohe Zinskasernen mit so kleinen Höfen, wie sie die örtliche Bauordnung eben noch gestattet, errichtet, in deren finsteren, von erstickender Luft erfüllten Wohn- und Arbeitsräumen, kaum mit dem Ausblick auf ein kleines Stückchen Himmel, die Diener- und Arbeiterschaft ihre Tage verbringen muß.
Diesen elenden, vernunftwidrigen Verhältnissen kann nur Einhalt geboten werden durch gesetzliche Verfügungen, denn so lange die Bauspekulation bei derartiger Ausnützung des Bauplatzes ihren Gewinn findet, wird sie freiwillig nie darauf verzichten. Alle derartigen Verfügungen laufen überall darauf hinaus, den inneren Gartenkern größerer Baublöcke durch Nichtgenehmigung der Parzellierung oder durch Bauverbot zu schützen. Am weitesten vorgeschritten in diesen heilsamen Bestrebungen ist gegenwärtig Hamburg, sowohl theoretisch als praktisch durch Einführung der sogenannten »inneren Bauflucht«. Es wäre wünschenswert, daß sich diese segensreiche Einrichtung überallhin verbreiten möchte. Eine Förderung dürfte dieselbe dadurch gewinnen, daß die im Innern der größeren Baublöcke unverbaut bleibenden Räume denn doch einer öffentlichen Verwertung nach Möglichkeit zugeführt werden. Einen Versuch, in diesem Sinne einen ganzen Stadtplan einzurichten, hat der Verfasser dieses mit seinem bereits in Ausführung begriffenen Stadtplan für Mährisch-Ostrau gemacht, dem einzelnes bei den ebenfalls schon ins Werk gesetzten Lageplänen für Teschen und für Olmütz vorausging. Es wurde da das Innere größerer Bau blocke zunächst verwendet im Sinne des vorher Besprochenen zur Unterbringung öffentlicher Gärten und Kinderspielplätze, dann für Turnplätze und Radfahrbahnen, Eislaufplätze u.dgl. Endlich wurde der Versuch gemacht, offene Märkte, Obstmärkte etc. innerhalb eines Kranzes von Zinshäusern in geschlossener Bauweise anzuordnen, was infolge der nötigen Zugänge und Zufahrten, atriumartigen Wandelbahnen, der Viehtränke mit der großen, alten Burghoflinde daneben, den zugehörigen Inspektions- und Kanzleiräumen und sonstigem Zubehör zu eigenartigen Lösungen führte. Endlich fand sich auch Verwendung großer unverbauter Innenflächen für Speditionszwecke, für besondere Industrien und noch manches andere. Wird für alles das nicht schon im Stadtplane Vor-sorge getroffen, so entsteht allenthalben Mangel an Raum, und die schweren Streifwagen, Kisten und Warenballen kann man dann in den vornehmsten Stadtteilen auf den Straßen den Verkehr verstellen sehen, weil es allenthalben an verfügbaren Hofräumen fehlt. Daß dabei überall Brunnen mit reichlichem Wasser, Baum- und Strauchwerk eingestreut werden können, ist klar und nur eine Sache der Ausführung, für welche nur die Opferfreudigkeit in der Bevölkerung angespornt zu werden brauchte, denn der Sinn dafür ist überall reichlich vorhanden.
Nach dem bisher Erörterten ist es klar, daß alles Grüne in der Großstadt in zwei streng zu sondernde Gruppen zerfällt mit gänzlich verschiedener Wirksamkeit und somit auch gänzlich verschiedenen Verwendungsformen, nämlich: in das sozusagen »Sanitäre Grün« und in das »Dekorative Grün«.
Das sanitäre Grün gehört nicht mitten in den Staub und Lärm der Straßen, sondern in das geschützte Innere großer, ringsherum verbauter Baublöcke. Nur in größten Flächenausmaßen verträgt es das Freiliegen an der offenen Straße, wie dies in den Villen- oder Cottagevierteln der Fall ist. Diese vom Wagenverkehr wenig heimgesuchten Stadtteile mit ihren ununterbrochen zusammenschließenden Baum-
Pflanzungen gehören zweifellos auch in die Gruppe des sanitären Grün. Zu sagen ist über diese Anlagen wegen Straßenführung, Grundteilung u. dgl. nichts; denn das viele Grün breitet selbst über verfehlte Lageplanformen den Mantel milder Nachsicht derart, daß weder Schönes noch Verfehltes in die Erscheinung tritt; es ist eigentlich ganz gleichgültig, wie man da vorgeht, es kommt auf jederlei Art immer dasselbe heraus.
Das dekorative Grün, und zwar womöglich in reichlicher Verbindung mit dekorativem Wasser, gehört im strikten Gegensatz zum sanitären ausschließlich der Straße und den Verkehrsplätzen, denn es hat nur den Zweck, gesehen zu werden, gesehen von möglichst vielen Menschen, also gerade auf den Hauptpunkten des Verkehres. Man kann sich einen größeren Gegensatz nicht denken. Beim dekorativen Grün ist alles nur auf die ihm einzig mögliche phantastische Wirkung zu berechnen; beim sanitären Grün handelt es sich dagegen um die wirkliche Erzielung greifbarer Werte: Staubfreiheit, Windschutz, allem Straßenlärm abgewendete Ruhe, schattige Kühle im Sommer. Was bei dem einen wertvoll ist, wird bei dem andern zur Nebensache und umgekehrt, woraus aber folgt, daß nur derjenige Stadtbaukünstler im einzelnen Fall das Richtige treffen wird, der diese beiden Arten des Stadtgrünen in ihrem Wesen erfaßt hat und auseinanderzuhalten versteht.
Von diesem Standpunkte aus ist die gegenwärtig landesübliche Alleeform entschieden zu verwerfen und die ganz in den Hintergrund gedrängte Einzelgruppe von Baum- und Strauchwerk in den Vordergrund zu stellen.
Wer sich dies durch ein großes Muster deutlich machen will, der gehe nach Konstantinopel, dort findet er das unübertroffene Beispiel der Einfügung des Grünen in eine große Baumasse. Überall Grünes, so daß man sich mitten im Basar- und Häusergewirre stets wie in freier Natur fühlt, überall fügt es sich willig und malerisch tadellos in das Platz-und Straßenbild ein; nirgends stört es, wie bei unseren Alleen,
Sitte, Der Städtebau.
den freien Anblick auf Monumentalgebäude und nirgends verursacht es Pflanzungs- oder Erhaltungskosten. Woher kommt dieses Wunder? Einfach daher, daß allüberall von Natur aus seit jeher Grünes da war, was nur dort beseitigt wurde, wo es störend wirkte, überall, wo es aber stehen blieb, ist es gut, natürlich, tadellos.
Die Gesamtwirkung ist geradezu märchenhaft. So muß auch die Gesamtwirkung des alten Athen, des alten Rom gewesen sein.
Warum können wir Modernen solche Herrlichkeit nicht mehr erstehen lassen?
Die Alleeform allein ist eine flammende Anklageschrift gegen unseren Geschmack. Kann es denn Abgeschmackteres geben, als die freie Naturform eines Baumes, die ja gerade in der Großstadt uns die freie Natur phantastisch vorzaubern soll, in gleicher Größe, in mathematisch haarscharf gleichen Abständen, in geometrisch schnurgerade ausgesteckter Richtung, genau so rechts wie links und noch obendrein in schier endloser Länge immer wiederholt aufzustellen? Man bekommt ja förmlich Magendrücken vor beklemmender Langeweile. Und das ist die Haupt-»Kunstform« unserer Städtebauer geometrischer Observanz!
In Konstantinopel gibt es keine einzige Allee, das ist auch bezeichnend. Dagegen zahlreiche Monumentalbrunnen, bekanntlich mindestens einen von jedem neuen Sultan gestiftet, die eine Berühmtheit der Stadt sind. Hier steht also ein vollwertiges Muster, dem künstlerisch bildend nachgestrebt werden sollte. Und es gibt auch bei uns schon Konzeptionen in diesem Sinne, wenn auch leider noch sehr vereinzelt, z. B. die große Münchener Monumentalbrunnenanlage von Hildebrandt. Es brauchte also nur die Aufmerksamkeit der entscheidenden Kreise auf die hohe Bedeutung der Verwendung von dekorativem Wasser und dekorativem Grün, besonders in künstlerischer Verbindung, hingelenkt zu werden. An Künstlern, die dafür richtige Lösungen fänden, fehlt es nicht und die Kosten dafür könnten reichlich bei den
zweckwidrigen, aber kostspieligen Alleen und Squares eingebracht werden.
So zeigt sich im ganzen auch hier wieder, daß der Städtebau, richtig aufgefaßt, keine bloß mechanische Kanzleiarbeit ist, sondern in Wahrheit ein bedeutsames, seelenvolles Kunstwerk, und zwar ein Stück großer, echter Volkskunst, was um so bedeutender in die Wagschale fällt, als gerade unserer Zeit ein volkstümliches Zusammenfassen aller bildenden Künste im Dienste eines großen nationalen Gesamtkunstwerkes fehlt.